Take these broken wings

Der Mann im Fernsehen sagt, eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist total wichtig. Soll jeder haben. Kann dramatisch ausgehen, wenn nicht. Der Mann ist von der Stiftung Finanztest und muss es ja wissen. Mir macht das sofort schlechte Laune. Denn ich bekomme so eine Versicherung nicht, jetzt nicht und überhaupt niemals.

Weil ich Diagnosen habe, reichlich. Ich habe F33.1 und F34.1 und F34.8 und Z73 und F60.31 und noch eine Handvoll mehr. Keine Versicherung, die noch alle Latten am Zaun hat, versichert mich gegen Berufsunfähigkeit, wenn diese Diagnosen zutreffen. Blöd ist nur: Sie treffen nicht zu. Nicht alle jedenfalls. Ich bin mir zum Beispiel ziemlich sicher, dass ich keine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus habe. Alle mich behandelnden Menschen sind sich ziemlich sicher. Alle außer einer, die mich nach wenigen Stunden komplett und vollständig und unwiderruflich durchschaut hatte (Superkräfte galore). Und so verhält es sich mit noch einigen anderen Diagnosephänomenen. Tatsächlich bin ich nicht besonders durchgeknallt – ich bekomme halt leicht Angst vor dem menschlichen Dasein und fühle viel.

Tja nun, dann hat man sowas eben seiner Akte, wobei ich keine Ahnung habe, wie diese ominöse Akte sich in welcher Form wo materialisiert. Es steht halt irgendwo. Wie so’n emotionales Führungszeugnis. Nur, dass die Einträge niemals verjähren, und löschen lassen kann man die auch nicht. Das finde ich unglaublich. Damit werden Diagnosen zu Urteilen: ‚So, Du bist leider auf ewig verrückt, und nun leb gefälligst damit, denn der Schuldspruch ist absolut und unumkehrbar und es kann auf keinen Fall sein, dass wir uns in dem einen oder anderen Detail vertan haben.‘

Auf dem Papier werde ich nie wieder gesund und okay sein. Immer ein Versicherungsrisiko. Und sollte ich jemals entscheiden, mich in stationäre psychiatrische Behandlung zu begeben, dann sind die möglicherweise richtigen mitsamt den definitiv falschen Diagnosen schon da und determinieren den Blick auf den Ist-Zustand. Zum Glück glaube ich sowieso nicht an die Psychiatrie.

 

„Haben Sie Vorerkrankungen?“ fragt die Versicherungsmaklerin am Telefon.

„Ja. Psychischer Natur.“ antworte ich.

„Wie aktuell sind die?“

„Geht so.“ Ich zähle die Diagnoseschlüssel auf. Die Maklerin tippt. Vielleicht hat sie ein Diagnoseschlüsselentschlüsselungsprogramm. Oder googelt das fix. Dann bleibt es relativ lange still.

„Sind Sie noch da?“ will ich wissen.

„Ja, Entschuldigung. Also wissen Sie, ich kann Ihnen da nicht helfen. Mit diesen Diagnosen finde ich keine Versicherung für Sie.“

„Okay. Dann versuche ich es woanders, danke.“

„Das wird wohl nicht funktionieren. Die Versicherer haben da so eine Art rote Liste. Da stehen Sie drauf, wenn Ihre Anfrage bereits von einem Anbieter abgelehnt wurde. Das ist der Fall, oder? Dass Sie es schon mal versucht haben?“

„Ja. Na super. Gibt es eine Alternative?“

„Zur Berufsunfähigkeitsversicherung? Leider nicht wirklich.“

„Gut. Also, nicht. Egal. Tschüss.“

 

Ich darf dann eben niemals berufsunfähig werden. Mehr Yoga, mehr gesundes Essen, mehr Schlafen, mehr Entspannung, mehr Freunde, mehr Beten Lachen Laufen Hoffen Lieben Aufpassen Schreiben und Grüntee. Was mir wenig bringt, sollte ich am Ende doch den beliebten Bandscheibenvorfall erleiden (Rücken haben ist ein offizieller Top-Grund für Arbeitsunfähigkeit, believe me). Ach, scheiß der Hund drauf. Es ist, wie es ist.

 

Hier ein Gedicht für alle wie uns.

if you are broken

and they have left you

do not question

whether you were

enough

the problem was

you were so enough

they were not able to carry it

– rupi kaur

16 Gedanken zu “Take these broken wings

  1. Ich kenne das.
    Wenn unser Familienernährer wegen seiner Angststörung ausfallen würde, könnte ich von meinem Einkommen gerade mal die Miete zahlen.
    Wir haben nicht mal eine Risikolebensversicherung bekommen. Wenn ihn ein Auto überfährt, stehe ich mit kleinen Kindern … Egal. Ich denke einfach nicht dran.

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    • Oh ja – ich darf auch nicht ausfallen. Ich bin ja auch quasi die Familienernährerin. Mein Mann ist in keinem gut bezahlten Beruf und arbeitet Teilzeit, auch wegen Kind, und das ist im Moment auch sehr sinnvoll. Es erleichtert mich, dass er keine Angst hat. Wird schon gehen, sagt er. We’ll cross the bridge when we come to it.

      Lebensversicherung hab ich auch keine bekommen. Eigentlich gar nix. Ich finde es eine gute Idee, einfach nicht dran zu denken, denn wenn sich eh nichts ändern lässt, was soll es dann.

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  2. Danke für diese Worte.
    Genau dieses Thema beschäftigt mich gerade sehr. Verbeamtet wurde ich, jedoch nicht versichert.
    Dann steht man da, ohne Absicherung. Und bis einem der Floh ins Ohr gesetzt wurde, war die Angst gar nicht da. Nun, wo man also weiß, dass man anscheinend ein risikobehafteter Pflegefall ist, sitzt sie einem im Nacken, brodelt so vor sich an.
    Durch Zufall habe ich diesen Blog entdeckt.
    Vielleicht sollte das so sein.

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  3. Auch ich wurde mal wegen Depression behandelt (Therapie) und kenne mich gut aus mit Versicherungen etc. In den Verträgen werden Erkrankungen der letzten 5 Jahre sowie manchmal stationäre Aufenthalte der letzten 10 Jahre abgefragt. Niemand muss alle Erkrankungen seines Lebens angeben! Zu deiner Frage, wo so etwas gespeichert wird: Das machen u.a. die Kassenärztlichen Vereinigungen. Nach 5 Jahren wird gelöscht. Du kannst jederzeit dort schriftlich anfragen, welche Daten dort über Dich gespeichert sind. Dann bekommst Du eine Liste mit allen Ärzten und allen Behandlungsschlüsseln. Mein Tipp: Thema vergessen und in 5 Jahren nochmal aufrollen. Übrigens gibt es eine Stelle, bei der Du genau einsehen kannst, welche Daten die Versicherungsbranche über dich speichert. Das macht nämlich die HIS informa gmbh. http://www.informa-his.de/kontakt/. Die sind verpflichtet, die schriftlich mitzuteilen, welche Informationen dort über dich gespeichert sind. „Nach 5 Jahren werden an HIS gemeldete Personen automatisch wieder gelöscht. Ob dies eingehalten wird, sollte allerdings von jedem Betroffenen überprüft werden.“ LOVE

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  4. Ich bin zufällig über dein Blog gestolpert, habe sämtliche Texte in den letzten Minuten inhaliert und innerlich ununterbrochen „Ja! JA! Genau so!!“ gekräht. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich mich in deinen wiederfinde.
    Eine BU bekomme ich mit meinen Schattentieren leider auch nicht mehr – aber hast du schon mal etwas von einer Grundfähigkeitsversicherung gehört? Da kommen tatsächlich auch Menschen unter, die bei den gängigen Versicherungen pauschal als tickende Zeitbombe abgelehnt werden…
    Von Herzen alles Liebe!

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  5. I’m so fucked. Diese Stigmatisierung findet aber nicht nur im Außen statt. Ich finde es noch schlimmer, im direkten, nahen Umfeld mit diesen Diagnosen, die irgendwer mit der nötigen Befugnis aufgeschrieben hat, damit in die Schranken gewiesen zu werden. Daher würde ich – könnte ich das Rad der Zeit zurückdrehen – auch meinen engsten Verwandten oder dem Partner nichts über irgendwelche Diagnosen erzählen. Sie entkräften, wo kaum noch Kraft ist.

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    • Ja, ich verstehe das. So läuft es, wenn es blöd läuft. Vor allem auch, weil es so wahnsinnig viele Fehldiagnosen gibt. Auch Psychiater unterliegen Trends. In den Neunzigern und Nullern war es Borderline, was diagnostisch sehr beliebt war. Mittlerweile ist es die bipolare Störung. Beides im Übrigen Erkrankungen, die eigentlich sehr präzise diagnostiziert werden müssen, was in der Realität eher selten stattfindet. Und dann lebst Du halt mit dem Scheiß. Da ist dann kein Raum mehr für Grauzonen.

      Für mich persönlich ist der selbstermächtigende Weg der beste. Will heißen, ich akzeptiere manche Diagnosen von Herzen überhaupt nicht. Auch deshalb, weil das Ergeben in eine Diagnose Dich auch so opferig und handlungsunfähig macht. Ganz fix bist Du an einem Punkt, an dem Du sagst: Ach, ich kann halt nicht anders, ich bin halt für immer Borderline. Und das ist Schwachsinn. Ich weigere mich, ein Leben zu führen unter der Herrschaft von Stempeln, die mir irgendwann mal wer aufgedrückt hat. Das heißt nicht, dass ich nicht an meinen Verrücktheiten arbeite, die mir selbst oder anderen Leidensdruck verschaffen. Aber eine selbstbestimmte, ganzheitliche und gut informierte Vorgehensweise ist mein Weg dafür. Ich würde sagen, der hat mir das Leben gerettet.

      Das mit der Verwandschaft kann ich unterschreiben. Da hätte ich auch mal lieber nie was gesagt. In Partnerschaften sehe ich es anders – wobei mein Partner auch niemals versucht hat, eine dieser Diagnosen gegen mich zu verwenden. Selbst in den schlimmsten Momenten nicht. Er weiß, dass ich streng bin mit mir, dass ich Verantwortung übernehme. Und ich weiß das auch.

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  6. Ich weiß nich, wie ich Anfang des Jahres auf dem Weg zum Arzt über die Berufsunfähigkeitsversicherung nachgedacht hab. Ich wusste, bisher gehts mit einfach sch…, aber gleich weiß das ein Arzt, und dann wars das mit so ner Versicherung. (Dabei hatte ich mich schonmal drum gekümmert, nur leider die Unterlagen nie eingereicht.) Und dann gabs da auch noch eine Psychiaterin, bei der ich notfallmäßig nen Termin bekommen hab, und die mir munter direkt eine generalisierte Angststörung mitsamt der F-Kennzahl aufgeschrieben hat. Ich weiß inzwischen, dass die Diagnose Schwachsinn war (und bin darüber froh!!), aber es steht halt jetzt irgendwo schwarz auf weiß. Naja, das mit den 5 oder 10 Jahren Verjährung merk ich mir mal!

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