Too Much Information

Was mich verwirrt: Wenn Menschen sagen, dass sie es gar nicht so genau wissen wollen. Immer, wenn’s gerade interessant wird, verlangt nämlich jemand: „So genau will ich das gar nicht wissen.“ Oder die Person zieht so komisch den Mund schief, wedelt mit den Händen herum und ruft „Too much information!“. Das verstehe ich nicht. Das Konzept von zu ausführlicher Information bleibt mir fremd. Ärger, Frustration oder Verzweiflung über magere Fakten – oh ja, absolut nachvollziehbar. Unvollständige Zahlen und Daten sind schrecklich. Aber andersrum? Leuchtet mir einfach nicht ein. 

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Leben, arbeiten.

Jetzt, ja ausgerechnet jetzt, wo ich auf der Stelle losarbeiten müsste, um meine Deadlines für heute noch zu schaffen – jetzt will ich plötzlich schreiben. Ich will immer schreiben, wenn ich eigentlich nicht darf. Mir sollte mal jemand das Schreiben sehr streng verbieten, vielleicht entstünde dann endlich mein gottverdammter Roman. Da mir aber schon länger niemand mehr etwas verboten hat, muss ich mich selbst disziplinieren. Das geht nie gut aus. Weiterlesen

Dazwischen

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Dazwischen ist ein unbequemer Ort. Dazwischen ist wie ein Kuchen, der wirklich gut aussieht, aber innen diese traurig-matschige Dichte hat. Dazwischen ist, wenn man groß träumt und klein denkt. Ich bin dazwischen. Ich will alles spüren, aber nichts ertragen. Alles sehen, aber aus der Ferne. Alles wissen, aber nichts lernen. Jetzt habe ich ein paar schöne Sätze gebaut und weiß nicht weiter. So ist das mit mir, heute und letztes Jahr und dieses Jahr wahrscheinlich auch. Mein Thema für 2020 heißt – außerhalb von „Irgendwie klarkommen, während die Welt zusammensinkt wie ein Soufflé“ – also mein Thema heißt „Autistische Identität finden und mich darin einwohnen“. Hätte ich mal vorher gewusst, wie viel Arbeit das ist. Andererseits ist es besser für mich, wenn ich eigentlich gar nichts vorher weiß, weil ich sonst in meiner Komfortzone verschimmele. Weiterlesen

Kaleidoskop 1511.

Das ist mein Platz. Genau hier, auf der Eckbank, neben dem Fenster, unter dem Philodendron, der fast meinen Scheitel kitzelt. Noch ein paar Wochen, dann ist er lang genug. Das Fauchen und Brüllen der Kaffeemaschine. Alle sind so jung und wissen genau, was ich trinke und esse. Weil ich immer das gleiche trinke und esse. Weil ich fast jeden Tag hierher komme. Wenn das Café zu hat, will ich nirgendwo anders hin. Das hier ist meine Zuflucht. Hier kenne ich mich aus. Ich weiß, wie der Kaffee schmeckt und bis um wie viel Uhr ich ihn trinken und trotzdem nachts einschlafen kann. Ich weiß, an welchem Tag welches Gebäck in der Theke steht. Und dass man an der Klotür zuweilen ein bisschen ruckeln muss. Ob ich nicht mal Abwechslung bräuchte, fragt mich jemand, der mich hier schon öfter sah. Nein, brauche ich nicht. Alles andere ist ja schon abwechselnd genug. Ich brauche Orte und Menschen, die sich nicht zu oft verändern. Nur dann werden all die Gedanken ein bisschen langsamer, schaukeln auf den Wellen wie zufriedene Robben.

Kein Hai, nirgends.

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Drüber reden.

Das hab ich mir wohl so gedacht, dass ich irgendwann die Lösung zur lebenslangen Fragestellung finde, und dann wird alles gut. Hab es mir so gedacht, dass alle Menschen einfach so wissen: Ah nee klar, die ist autistisch, geile Sache. Hab mir gedacht, dass so eine große Antwort doch sicher groß genug sei, um die Schlaglöcher in meinem Denkprozess sauber zu verspachteln. Was ich nicht gedacht habe: Dass es dermaßen schwierig ist, darüber zu reden. Weiterlesen

Verdachtsmomente

Zu einem Zeitpunkt, an dem ich dachte, hier geht nichts mehr; hier geht es nicht weiter und erst recht nicht zurück und immer im Kreis: Da ließ mir jemand einen Verdacht wie einen Stein vor die Füße fallen. Ich habe mich gebückt und ihn vom Boden der Tatsachen aufgehoben. Die allerkleinste Lawine in meinen Händen. Ich folge ihrer Bahn. Und sehe, wie sich meine eigenen Verdachtsmomente in den Augen der Spezialist*innen spiegeln: „Sie haben das Asperger Syndrom.“ Die Lawine kommt in meiner Magengrube zum Stillstand. Wumms. Weiterlesen

Same same but divergent.

Dass ich anders bin, wusste ich schon mein Leben lang. Diesen Satz habe ich auf meiner Großen Unendlichen Suche so oft gelesen; er läuft im inneren Spracharchiv fast unter „Klischee“. Aber er stimmt ja dann doch. Meine frühesten Erinnerungen drehen sich darum, die Welt im Kern nicht zu begreifen. Vor allem die Menschen darin nicht. Warum setzen sich die anderen Kinder bei der Erzieherin auf den Schoß? Warum sagen die „Tante Martina“ zu ihr, die ist doch gar nicht unsere Tante? Warum machen die ständig Dinge, die ich gar nicht verstehe? Und wie sind die Regeln dafür? Wie sind die VERDAMMTEN REGELN!? Okay – verdammt habe ich mit drei Jahren nicht gedacht. Der Grundtenor stimmt allerdings. Weiterlesen

Wasserstandsmeldungen.

Der Akku vom Laptop hat nur noch 27%. Muss mich beeilen. Könnte ja auch das Kabel holen, aber so ernst ist es mir nicht. Es lungern halt Sätze in den Katakomben herum, die ich in die richtige Reihenfolge bringen muss. Das geht in der Regel nur schriftlich – sitzt mir ein Mensch gegenüber, das müsstet ihr mal erleben, dann radebreche ich um meine Gedanken herum, dass es nur so kracht. Sprachlich bin ich ein Pinguin und die direkte Konversation ist mein Landgang. Weiterlesen

Superscheißige Tage.

Ich warte, wieder einmal und wieder so lange. Auf eine nagelneue und wirklich wahre Diagnose, einen Schlüssel zu meinem Anderssein, auf Zahlen, die die Punkte in mir endlich zu einem Bild verbinden. Lustigerweise überrascht mich das selbst am meisten, denn ich habe nun weiß Gott keine weitere Diagnose gewollt. Eher andersrum: Ermüdet haben sie mich, die Schubladen und Stempel, von denen ich so viele habe und doch keins so hundertprozentig passen mag.

Und dann sagt Freundin L. plötzlich so einen Satz – noch einen – verknüpft behutsam einige Merkwürdigkeiten zu einem Fragment. Andere Puzzleteile rutschen mit Getöse an ihren Platz. Willst du mehr wissen, fragt Freundin L.

Ich will. Ich will immer mehr wissen, es ist ein Segen und ein Fluch. Weiterlesen

Can’t stand losing.

Guguck, ruft das Schattentier, da bin ich wieder.

Ach, bitte nicht, sage ich.

Ist aber Zeit, lächelt das Schattentier mit seinem unsichtbaren Lächeln. In dieser Hinsicht ist es das Gegenteil der Grinsekatze.

Ich habe das möglicherweise kommen sehen. Möglicherweise habe ich zu viel gearbeitet. Möglicherweise habe ich wieder gar keine Pausen gemacht und keine Schwächen erlaubt und keine Deadline um keinen Millimeter verschoben. Möglicherweise habe ich die Einschläge ignoriert, die näher kamen, und bin mit offenen Armen auf der Straße gekreiselt, statt Schutz zu suchen wie jeder normale Mensch. Weiterlesen